Wolfgang. Guitarist and dreamer (but not the only one)
Wolfgang. Guitarist and dreamer (but not the only one)

Kurze Geschichten von Wolfgang.

Schon mein ganzes Leben lang habe ich mir immer wieder Geschichten ausgedacht. Meistens spielen sie sich in meinem Kopf ab. 2020 habe ich schließlich angefangen, sie aufzuschreiben. Meine Geschichten sind meist sehr kurz. Sie entstehen aus Erinnerungen oder Gedanken, nichts Großes. Manchmal entstehen sie aus einem Traum, den ich sofort nach dem Aufwachen aufschreibe.

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Godzilla vs Kater

Unlängst kam es zu einer spektakulären, wenn auch letztendlich zum Scheitern verurteilen Rettungsaktion, als sich ein großer grüner Heuschreck zu uns in die Wohnung verirrte. So was kommt bei uns im Sommer öfters vor, da wir da den ganzen Tag über lüften. Normalerweise fange ich das Tier ein und befördere es anschließend sanft nach draußen, wo es sein Heuschreckenleben weiterführen kann. Nur diesmal war der Kater schneller. Und der tut dann das, was Kater so tun, wenn sie etwas zum jagen gefunden haben. Damit ist für gewöhnlich das Schicksal des verirrten Tieres besiegelt. Denn man glaubt kaum, wie viel Kraft, Schnelligkeit und vor allem Schlüpfrigkeit so ein Kater entwickelt, wenn er was gefunden hat, dass er erbeuten kann. Ich kann ihn dann fast nicht mehr zurückhalten. Und da er weiß, dass wir seine Beute retten wollen, handelt er schnell, fokussiert und kaltblütig. Auf diese Weise hat er schon eine Menge Insekten erledigt. Fliegen, Spinnen, Schmetterlinge, Gelsen, Hornissen und sogar Mücken verschmäht er nicht. Nur Marienkäfer dürfen weiterleben. Sie scheinen ihm zu gefallen, wie sie da lustig auf der Loggia herumkrabbeln und die Blattläuse auf unseren Chilis fressen. 

Möchte ich zumindest glauben. Aber wahrscheinlicher ist: Sie schmecken ihm nicht.

Aber zurück zum Heuschreck. Da stand er also. Groß und grün, mit dem Rücken zur Wand. Und das Tier war wirklich groß. Nahezu riesig. Mehr Godzilla als Flip. Und ihm gegenüber stand Kater, noch größer und braun marmoriert.

Im Hintergrund hört man Ennio Morricones Melodie zu „Spiel mir das Lied vom Tod“. (Ich hatte die Platte gerade aufgelegt). Man sah ein kaltes glitzern in Katers Augen. Als ob er jeden Moment sagen würde: „Keine Bewegung Freundchen, sonst vergrabe ich dich dort, wo ich normalerweise mein Geschäft verrichte. Und der Grashüpfer schien zu verstehen. Er blieb wie angewurzelt stehen. Nicht einmal seine Antennen bewegten sich. Er war wie versteinert, während Kater langsam näher kam. Aus irgendeinem Grund schien er es diesmal nicht eilig zu haben, das arme Tier zu meucheln. Da sah ich meine Chance gekommen. Ich hob das Raubtier hoch und bugsierte es rasch in ein anderes Zimmer. Als ich jedoch zurückkam, war der Heuschreck verschwunden. Und so sehr ich auch suchte, er blieb verschwunden. Also entließ ich den aufgrund meiner hinterlistigen Aktion leicht säuerlichen Kater wieder aus seinem Exil und es dauerte auch nur kurz und er hatte seine Beute wieder gefunden. Was er dabei tat, sah äußerst seltsam aus. Er hielt seine Nase wie ein Spürhund knapp über den Boden und bewegte sich dabei in Schlangenlinien durch die Wohnung, wo er dann wie ein Vorstehhund vor dem Klavier einfror. Als er schließlich seine Krallen ausfuhr und mit seiner Pfote hinter das Klavier zu tasten begann, hob ich ihn wieder hoch und brachte das jetzt noch säuerlichere Tier wieder ins andere Zimmer. Anschließend setzte ich den Heuschreck auf die Fensterbank, wo er wegflog.

Jetzt könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein. Ist sie aber nicht. Denn der Grashüpfer bog bei seiner Flucht in die denkbar falscheste Richtung ab, in die er hätte abbiegen können. Er flog schnurstracks zurück in unsere Loggia, wo er dann erwartet wurde. Ich fand seine sterblichen Überreste etwas später unter einem Hocker im Wohnzimmer. Der Kater sitzt inzwischen auf seiner Bank in der Sonne, beobachtet das Katzennetz an der Loggia und wartet. Er schnurrt zufrieden.

 

Für Wot

Wolfgang. 27.7.2023

 

Triest

 

Ich träume oft seltsame Dinge und heute war es wieder mal so weit. Ich träumte, in Wien gäbe es eine U-Bahn Station, die in Triest liegt. Man reist dorthin mit der U1 und fährt gleichzeitig in die Vergangenheit. Die ganze U-Bahnstation ist in dunkles Holz getäfelt. Es sieht so aus, als ob man sich im Inneren eines Piratenschiffes befindet. Nach oben kommt man, wie es sich für die Vergangenheit gehört, nicht mit einer Rolltreppe, sondern auf einem hölzernen Aufgang. Der Ausgang der Station Triest liegt direkt am Meer, sodass man von der Gehsteigkante direkt hinein springen kann. Als ich oben ankomme, sehe ich Möwen. Ich kann das Meer riechen und die Brandung hören. Ich schaue mich um und sehe eine alte, aus der Zeit gerissenes Stadt, wo Leute in altertümliche  Gewänder gekleidet ihren Geschäften nachgehen. Aber der Traum hat noch einen anderen Handlungsstrang. In dieser alternativen Welt bin ich nämlich bei Nick Cave and the Bad Seeds als Gitarrist eingestiegen. Ich hatte eben meinen ersten Gig als neues Bandenmitglied hinter mir und wollte gerade nach Hause fahren, bin mich aber mit der U-Bahn verfahren und irgendwie im alten Triest gelandet. Dem Sitz der k. u. k. Kriegsmarine. Der einstmals sechstgrößten Marine der Welt. Als ich mich so umschaue und die Gegend bewundere, klingelt mein Handy. Ein Freund ruft mich an und sagt: „Hast du schon die Nachrichten gesehen?“ Als ich verneine, meint er: „Nun dann schicke ich dir einen Screenshot. Ich denke, das wird dir gefallen.“ Ich bedanke mich bei ihm und wir legen auf. Kurz darauf bimmelt mein Smartphone. Das muss der Screenshot sein. Ich öffne die Nachricht und man sieht einen Bildausschnitt aus der Nachrichtensendung. Ein Konzertmitschnitt Ich stehe ganz in schwarz gekleidet und geschminkt neben Nick Cave auf einer Bühne und spiele eine mitternachtsschwarze Fender Jazzmaster. Dann wache ich auf.

 

„I've spent my life butting my head against other people's lack of imagination.“

Nick Cave

 

Wolfgang. 23.4.2023

Zwielicht

 

 

Ich mochte am liebsten den Übergang zwischen den Jahreszeiten. Wenn die eine noch nicht ganz zu Ende war, aber die andere noch nicht begonnen hatte. Für mich war das stets eine magische Zeit, in der alles möglich war. Man konnte beobachten, wie sie alles zu verändern begann. Das Alte verging und was kommen würde, war noch unsichtbar. 

Aber wenn man genau hinsah, konnte man bereits Hinweise auf das Kommende finden. Ein grüner Trieb, eine erste zarte Blüte, eine Frucht, ein braunes Blatt, rotes Weinlaub, die ersten Schneeflocken, zeigten die Veränderung an. Aber noch war es nicht so weit. Alles schien gleichzeitig zu geschehen. Für mich war das immer eine spannende Zeit, in der ich die Natur, die Veränderung beobachten konnte. 

Während meiner Kindheit freute ich mich immer auf den März. Da in diesem Monat der Schnee zu schmelzen begann. Und wenn man ein Naturbursche war so wie ich, wagte man sich bereits mit kurzen Ärmeln hinaus. 

Ich hatte zwar zur Sicherheit immer eine Jacke dabei, wenn ich meine ersten Ausfahren mit meinem blauen Tretroller machte, aber zumindest die Zeit der dicken Winterkleidung war vorbei. Und während die Luftreifen dann über erste schneefreie Wege fuhren, beobachtete ich die Veränderung. Am 31. Oktober begann es dann das erste mal zu schneien. Daran kann ich deswegen so gut erinnern, weil das mein Namenstag ist. Noch war es nicht kalt genug und der Schnee würde nicht liegen bleiben. Aber man konnte bereits erahnen, was kommen würde. Vielleicht würde es ein Winter werden, so wir der Mitte der 80er, als es in Kapfenberg den Jahrhundertschnee gab und ich durch 1 1/2 Meter Schnee zur Werkschule stapfen musste, weil kein Bus mehr fuhr. Oder es gab wenig Schnee und ich konnte meine Rennrodel im Keller lassen. Am 31. Oktober wusste ich das noch nicht und so konnte ich mir den ganzen Tag ausmalen, was kommen würde. Ich nannte diese Übergangszeit zwischen den Jahreszeiten immer das Zwielicht, weil, da die Sonne eine ganz besondere Qualität zu haben schien. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber in meiner Erinnerung ist es so. Ich fürchte, das Zwielicht gibt es nicht mehr. Denn es gibt keinen Übergang zwischen den Jahreszeiten mehr. Und das macht mich traurig. Aber ich bin froh das ich es noch gesehen habe. Das Zwielicht.

Wolfgang. 
 

Info:

Der Phänologische Kalender hat zehn Jahreszeiten.

Vorfrühling, Erstfrühling, Vollfrühling, Frühsommer, Hochsommer, Spätsommer, Frühherbst, Vollherbst, Spätherbst und Winter

Er hat keine fixen Daten sondern wird durch Beobachtungen in der Natur bestimmt. So leiten zum Beispiel die Schneeglöckchen den Vorfrühling ein.

Um den April herum haben wir Erstfrühling bei uns. Er wird eingeläutet, wenn die Forsythie blüht und wenn die Stachelbeeren ihre Blätter entfalten.

(Quelle: naturwissenschaften.ch)

Heute ist der 5. April 2024. Am kommenden Wochenende könnte das erste mal die 30 Grad Marke fallen.

Stayin‘ Alive

 

 

Es ist genau 18:00. Ich sitze gerade in der Schnellbahn und höre Musik über meinen Kopfhörer. Ich habe bereits einen ganzen Tag voller Musik hinter mir. Am Vormittag arbeitete ich in meinem Homestudio und am Nachmittag unterrichtete ich Gitarre und Ukulele. Jetzt denke ich über meine neuesten Projekte nach. Die nächste Zeit wird spannend. So lange ich mich erinnern kann, mache ich jetzt schon Musik. Ich wuchs in einer musikalischen Familie auf. Entweder wurde bei uns Musik gemacht oder Musik gehört. Bereits als kleines Kind hörte ich meiner Schwester Karin beim Gitarre spielen zu. Von ihr lernte ich, wie man zu einem Lied die zweite Stimme singt, was eine Strophe oder was ein Refrain ist. Dieses genaue Hinhören auf die verschiedenen Stimmen hat mein musikalisches Gehör und meinen Sinn für Harmonien bereits in jungen Jahren trainiert. So wurde Musik für mich zur zweiten Muttersprache. Meiner Schwester habe ich zu verdanken, dass ich heute Musiker bin, denn sie war die erste, die erkannte, was in mir steckte. Lange vor allen anderen sah sie die Musik in mir. Und jetzt sitze ich in der Schnellbahn und fahre von meinem Unterricht nach Hause. Lieber würde ich zwar von einem Konzert nach Hause fahren. Aber heute ist Unterrichtstag. Und Leuten Musik näher zu bringen, macht mir Spaß, denn zu mir kommen nur Leute, die dasselbe wollen wie ich. 

Ich schaue mir gerade das Video zu „Stayin‘ Alive“ an. Die Bee Gees gehen mit ihren hautengen Glockenhosen lässig im Rhythmus zur Musik in einer verfallenen Gegend herum und singen dabei. Ich mag den Song. Er macht gute Laune. Ich beginne leicht mit zu grooven. Während meiner Jugend wäre ich jetzt aufgesprungen und durch den Zug getanzt. Heute überlasse ich das tanzen lieber den anderen und sorge stattdessen für die Musik. Die Bee Gees sind inzwischen vor einer Gebäudekulisse stehengeblieben.  „Aaaaaaaaah“ klingt es im Falsett in meinem Kopfhörer. Meine Stimmung wird immer besser. Bald muss ich aussteigen. Dann blicke ich auf, sehe die anderen Leute im Abteil und erschrecke. Dieses Bild passt irgendwie nicht zu dem, was ich gerade höre. Es sieht so aus, als ob sich vor mir gerade ein Fehler in der Matrix zeigt, den nur ich sehen kann. Überall graue Menschen. Ich schaue in müde Gesichter und tote Augen. Die Leute kommen gerade von der Arbeit und versuchen sich irgendwie wach zu halten. Ich kann beinahe ihre Gedanken lesen: „Verdammt erst Dienstag. Wie soll ich diese Woche nur überstehen.“ Ich kenne dieses Gefühl. Ich habe es manchmal, wenn ich keine Musik machen kann. Aber jetzt, nach einem Tag voller Töne, Melodien und Akkorden, fühle ich mich frisch wie nach einem erholsamen Urlaub. Ich wollte nie etwas anderes machen als Musik. Es war zwar nicht immer einfach gewesen, aber ich habe es geschafft. Ich lebe meinen Traum. Und das habe ich meinem ersten Vorbild zu Verdanken. Meiner Schwester. Sie hat in mir etwas gesehen, das sonst niemand vorher sah. Ohne sie hätte ich jetzt auch diese toten Augen.

 

Gewidmet meiner Schwester Karin

Wolfgang. 12.3.24

Kap der Guten Hoffnung

 

Ich träumte heute von meiner Freundin K.. Wir trafen uns irgendwo. Ich glaube es war in Krieglach. Es war Sommer und sie trug ein weißes Kleid. Ich sehe noch ihre blonden Haare vor mir, wie sie da auf einer Stiege vor irgendeinem Haus sitzt. Wir unterhielten uns. Sie sagte zu mir, sie würde für immer weggehen, hätte ein Job Angebot in Afrika und würde deswegen zum Kap der Guten Hoffnung ziehen. Ich fragte sie ob sie nicht einsam sein würde, so ganz allein in einem fremden Land, wo sie niemanden kennt. Aber K. meinte sie hätte ein paar Kontakte aus der Gegend in ihrem kleinen schwarzen Notizbuch. Leute, die sie von früher kannte, würden jetzt da leben und sie würde deswegen nicht alleine sein. Ich war traurig weil wir uns in Zukunft nicht mehr sehen würden. Als als sie das sah zog sie mich an sich heran, nahm mich in den Arm und tröstete mich. Sie war mir in diesem Moment so nah das ich ihre Haut spüren und ihr Haar riechen konnte. Sie sagte zu mir: „Sei nicht traurig. Ich muss jetzt gehen, denn ich kann nicht hier bleiben. Das Kap der Guten Hoffnung ruft nach mir. Aber eines Tages werden wir uns wiedersehen. Wir alle.“

Vor einem Jahr hat uns K. jetzt verlassen. Es hat wehgetan, sie zu verlieren. 

Ich konnte mich nie von ihr verabschieden. Hab ihr nie gesagt, dass ich sie lieb hab.

Aber gestern Nacht, in meinem Traum, hab ich das getan. Und dafür bin ich dankbar. 

Und ich weiß jetzt das wir uns eines Tages wiedersehen werden. 

Am Kap der Guten Hoffnung.

 

Für meine Freundin K.

Wolfgang. 1.3.2024

Nicki der Autogeist

 

 

Als ich noch ein kleiner Wolf war, besaß mein Vater einen alten silbergrauen Fort Escort aus den 60er-Jahren. Und obwohl ich, was Autos betraf, kein typischer Bub war, liebte ich diesen Wagen. Mit seinem Flügelheck und den schnittigen Kurven stellte dieses Gefährt für mich das perfekte Heldenauto dar. Wenn wir damit nicht gerade herumfuhren, stand der Fort in seiner Garage am großen Parkplatz vor unserem Haus. Kam der Wagen aber zum Einsatz, war ich stets der erste, der ungeduldig vor dem verschlossenen Garagentor wartete, bis es endlich mit einem metallischen Knirschen nach oben schwang. Kaum war das Tor offen, lief ich wie ein aufgeregter Pudel um das Auto herum, ganz so, als hätte ich es seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen. „Nicht rennen“, sagte dann mein Vater streng. „Sonst stößt du dir noch irgendwo den Kopf.“ Aber ich war nicht mehr zu bremsen. Zu groß war die Aufregung. Und was sollte mir schon passieren? Große Buben wie ich waren ohnehin unverwundbar. Also kreiste ich um den Wagen wie ein kleiner wildgewordener Mond, bis sich endlich die Türen öffneten und ich einsteigen konnte. Ich weiß nicht, warum ich diesen alten Fort so mochte. Sonst hielt sich mein Interesse bezüglich Fahrzeugen eher in Grenzen. Ich spielte nicht mit Spielzeugautos, sammelte keine Autokarten und klebte schon gar keine Bilder davon in Sammelalben. Ich war mehr das Abenteuer Kind, das auf Bäume kletterte und von ihnen wieder herunterfiel. Ich schlich mich viel lieber auf ein Maisfeld, um dort Kukurutz zu fladern. Im Frühling errichtete ich mit den anderen Kindern unseres Hauses jedes Jahr ein riesiges Osterfeuer und im Sommer schwammen wir gemeinsam in der Mürz. Aber Autos? Nein, die spielten in meinem Universum eine eher untergeordnete Rolle. Vielleicht mochte ich diesen Escort deshalb so gerne, weil ich sonst mit meinem Vater nicht viel gemeinsam hatte. Wir hatten eine, sagen wir, eher durchwachsene Vater Sohn Beziehung. Aber dieser alte Fort Escort war unser Wagen. Den hatten wir gemeinsam. Ich glaube, meinem Vater ging es dabei ähnlich wie mir, denn ich hörte ihn nie über Fahrzeuge sprechen, außer wenn es um unser Auto ging. Einmal fuhren wir zum Fischen an den Silbersee. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Angler und diesmal durfte ich mitkommen. Wir mussten nicht weit fahren, den der See war in der Nähe. Als wir dort ankamen, erkundete ich als erstes die Gegend, während Vater sein Angelzeug aus dem Wagen lud. Als ich zurückkam, saß er bereits auf seinem klappbaren Fischerstuhl und hatte die Angel ausgeworfen. So konnte er stundenlang dasitzen und aufs Wasser starren. Ich glaube, es war ihm nicht wichtig, ob er etwas fing oder nicht. Ich hatte immer das Gefühl, für ihn war das fischen mehr eine meditative Übung, bei der er abschalten und entspannen konnte. Etwas, wobei er sich sonst eher schwertat. So lange er so da saß, hatte ich Zeit, meine Erkundungstour rund um den See fortzusetzen. Ich verabschiedete mich bei ihm und zog los. Er rief mir noch nach: „Pass auf, dass du nicht ins Wasser fällst, sonnst muss ich dich am Ende noch mit der Angel rausziehen.“ und ich antwortete: „Mach ich“, aber da war ich schon mitten im Abenteuer.

Ich muss ein paar Stunden unterwegs gewesen sein. Ich untersuchte den See, wo sich Myriaden von Kaulquappen im Schilf versteckten, lies flache Steine übers Wasser springen und brockte mir einen besonders geraden Stecken, den ich als Degen verwendete, um damit unsichtbare Räuber zu vertreiben. Irgendwann hatte ich dann den See einmal ganz umrundet. Als ich wieder zurück kam, saß mein Vater noch genau so wie vorher auf seinem Stuhl und schaute aufs Wasser. Als er mich fragte, wie mein Ausflug gewesen war, erzählte ich ihm von meinen Abenteuern. Er kannte meine überschäumende Fantasie, tat aber so, als wäre er erstaunt darüber. Solche Ausflüge machten wir öfters. Manchmal fuhren wir mit der ganzen Familie zu den Großeltern nach Weichselboden oder auf den Rechberg, ein anderes Mal ging es nach Rauris zu meinen Verwandten. Und immer fuhren wir mit dem alten Fort Escort. Bis mein Vater beschloss, sich einen neuen Wagen zu kaufen. Einen Renault 4. Für mich war diese Nachricht natürlich eine Katastrophe. Wie konnte man diesen Traumwagen nur gegen so eine hässliche Gurke tauschen. Ich konnte mich nur sehr schwer von unseren alten Fort trennen. Aber irgendwann war es dann so weit und ein nagelneuer R4 stand bei uns in der Garage.

Als mein Vater sah, wie traurig ich darüber war, setzte er sich zu mir und sagte: „Du brauchst nicht traurig sein, Wolfi. Wusstest du, dass in jedem Auto ein Autogeist wohnt?“ Wusste ich nicht. Aber ich wollte mehr wissen. „Nun in jedem Auto, egal ob groß oder klein, wohnt ein Autogeist. Du kannst ihn vielleicht nicht sehen, aber er ist da und beschützt uns, wenn wir unterwegs sind.“ Ich war neugierig. „Haben wir etwa auch einen Autogeist“, fragte ich ihn hoffnungsvoll. Er lächelte milde und erzählte weiter: „Ja, natürlich, und unser Geist heißt Nicki. Und jedes Mal, wenn wir mit dem Auto fahren, ist Nicki dabei und passt auf, dass uns nichts passiert.“ Ich bekam Panik: „Ja, aber dann ist Nicki jetzt doch in unserem alten Fort. Er wird uns bestimmt vermissen.“ Ich war den Tränen nahe, aber mein Vater beruhigte mich: „Keine Angst. Als ich den neuen Wagen geholt habe, bin ich damit ganz langsam an unserem alten Escort vorbei gefahren, damit Nicki herüberspringen kann.“ Und hat er es geschafft, Papa?“ Meine Stimmung wurde besser. „Ja, Wolfi, ich hab genau gesehen, wie er beim Fenster rein ist. Jetzt versteckt er sich irgendwo auf dem Rücksitz. Ich glaube, er muss sich noch etwas an den Renault gewöhnen.“ Dann war also alles in Ordnung. Es spielte keine Rolle, welches Auto wir besaßen. Denn wir hatten Nicki den Autogeist. 

Viele Jahre später, ich war inzwischen 20 geworden, fuhr ich dann bereits mit meinem eigenen Auto. Ich war immer ein sicherer Fahrer gewesen, hielt mich an die Höchstgeschwindigkeit und achtete stets auf den Verkehr. Aber an diesem Tag blickte ich in den Abgrund und der Abgrund blickte zurück. An diesem Tag hatte ich einen schweren Autounfall. Mein Wagen überschlug sich fünfmal. Und es grenzt an ein Wunder, dass ich und meine beiden Freundinnen, die mitfuhren, diesen Unfall überlebt haben. Wir waren alle drei verletzt, zum Teil schwer und es war knapp gewesen. Sehr knapp. Zwischen uns und der Dunkelheit, hätte nicht einmal mehr ein Blatt Papier gepasst. Aber wir waren am leben. Und obwohl mir meine Freundinnen deswegen nie einen Vorwurf gemacht haben, blicke ich auch heute noch manchmal in den Abgrund. Aber er blickt nicht mehr zurück Und das habe ich den beiden zu verdanken. Denn wir haben das gemeinsam überstanden. Wir haben Hand in Hand, dem Todesengel die lange Nase gezeigt und sind zusammen seinem Labyrinth entkommen. Ich fuhr damals mit dem alten Wagen meines Vaters. Und ich frage mich manchmal, ob uns damals in Neunkirchen auf der Autobahn nicht jemand beschützt hat. Denn normalerweise überlebt man so einen Unfall nicht. „Danke, Nicki“ Ich bin seitdem nie wieder mit dem Auto gefahren und Nicki ist inzwischen ein Gitarrengeist.

Für Papa

Gewidmet Roberta und Maggie

 

Wolfgang. 21.2.2024

Dunkelheit 

 

Eine Kindheitserinnerung 

 

Kinder fürchten sich manchmal vor der Dunkelheit. So ging es auch mir während meiner Kindheit. Besonders in der Nacht, wenn in meinem Zimmer das Licht abgedreht wurde, hatte ich Angst. Große Angst. Denn wenn es bei uns in Kapfenberg, wo ich aufwuchs, dunkel wurde, wurde es wirklich dunkel. Es wurde so finster, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sah. Es gab keine Umrisse, keine Schemen und kein oben und unten mehr. Nur mehr absolute Schwärze. Das lag daran, dass das Hochhaus, in dem ich aufwuchs, das letzte der Siedlung war. Danach gab es nur mehr die Natur. Wenn man aus dem Fenster sah, blickte man auf eine Wiese und gleich dahinter floss die Mürz. Über eine kleine Pionierbrücke konnte man in den nahen Wald und weiter auf den Tanzenberg wandern. In der Nacht, wenn die Straßenlaternen abgedreht wurden, gab es dann kein Licht mehr, dass die Dunkelheit vertreiben hätte können. Eine Dunkelheit von derartiger Tiefe hab ich seither nirgendwo mehr gesehen. Und davor hatte ich Angst. Geradezu panische Angst. Vielleicht, weil meine Fantasie bezüglich was sich in dieser absoluten Schwärze wohl verbergen mochte, immer sehr groß gewesen war. Meine Mutter wusste von dieser Furcht und versuchte sie mir zu nehmen. Ich höre noch ihre Stimme, wie sie zu mir sagt: „Hab keine Angst Wolfi, es kann dir nichts passieren. Wenn du dich fürchtest, ruf einfach nach uns und schon sind wir da.“ Dann setzte sie sich an mein Bett und las mir eine Geschichte vor. Am liebsten hörte ich die Geschichte vom Grimmimgtor, eine alte steirische Sage. Oder sie las mir etwas von Peter Rosegger, dem bekannten steirischen Schriftsteller, vor. Viele Jahre später verbrachte ich die Wochenenden oft mit meinen Freunden aus Krieglach und lernte dort die Urlioma kennen. Die Urgroßmutter von zwei Freundinnen hatte als Kind bei Peter Rosegger als Dienstmädchen gearbeitet. Und manchmal, wenn wir Burschen aus Kapfenberg und Bruck zu Besuch waren, erzählte uns Urli davon. Sie hatte sich zunächst vor ihm gefürchtet. Weil er so groß und immer schwarz gekleidet gewesen war: „Ausgschaut hatt er wie a schwoarza Teifl, oba er woa da freundlichste Mann, den man sich vorstellen kann. Er war immer nett zu mir gewesen, der Rosegger.“ Aber jetzt lag ich noch in meinem Bett und lauschte der sanften Stimme meiner Mutter, wie sie mir seine Geschichten vorlas. Irgendwann war es dann Zeit zu schlafen. Meine Mutter lies immer das Licht brennen und kam später, wenn ich eingeschlafen war, wieder um es abzuschalten. Das ging lange so, aber irgendwann war ich tapfer genug. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sagte zu ihr: „Heute kannst du das Licht abdrehen. Ich fürchte mich nicht mehr.“ Meine Mutter sah mich ernst an und meinte dann:

„Bist du sicher?“ Und ich antwortete: „Ja, dreh das Licht ruhig ab. Ich fürchte mich nicht mehr.“

Dann sagte sie noch: „Ich glaub, du wirst schon langsam groß“ gab mir noch einen Kuss auf die Stirn und drehte dann das Licht ab. Ich sah noch, wie der Lichtspalt an der Türe immer kleiner wurde, als sie leise die Türe zu meinem Zimmer schloss. Immer kleiner, immer weniger wurde das mutmachende Licht. Bis es schließlich ganz verschwunden war. 

Und mit einem Mal war es mindestens genau so leise, wie es dunkel war. So fühlte es sich also an, wenn man groß ist. Dunkel, leise und einsam. Und obwohl meine Eltern und Geschwister nur einen Türspalt von mir entfernt waren, hatte ich das Gefühl, ich befände mich auf einem anderen Planeten. Ich war alleine. Und natürlich hatte ich Angst. Aber ich war jetzt groß und große Kinder fürchteten sich nicht mehr und es war Zeit, dass ich mich meiner Angst stellte. Was konnte schon passieren. Mein großer Bruder hatte vor mir jahrelang in diesem Zimmer geschlafen und es war ihm nichts passiert. Wenn er jetzt bei mir gewesen wäre, hätte er einen Scherz gemacht, um mir so die Angst zu nehmen. Er hätte etwas gesagt wie:

„Wenn du unter deinem Bett ein Gespenst findest, sag zu ihm: Spü Kugerl und veroll dich, sonnst tret ich dir so in den Hintern, dass du über den Tanzenberg fliegst.“

Dann hätten wir beide gelacht. Aber jetzt war ich alleine und versuchte zu schlafen. Es ging nicht, also beugte ich mich über den Bettrand und flüsterte ganz leise:

„Spü Kugerl und veroll dich…..,“  Das beruhigte mich. Ich war wahrscheinlich nicht der einzige der heute bei Dunkelheit einzuschlafen wollte. Da gab es sicher noch andere Kinder. Und ich fragte mich, wie viele Gespenster wohl in diesem Moment über den Tanzenberg flogen. Irgendwann war ich dann im Halbschlaf und dachte mir eine Geschichte aus. Was wäre, wenn ich jetzt einschlafe und irgendwo anders aufwache, wenn der Wolfi, der gerade alleine in seinem Zimmer liegt, nur der Traum eines anderen wäre. Und in dem Moment, wo Wolfi zu träumen beginnt, der andere aufwacht? Zum Beispiel als Löwe. Wäre ich dann ein Wolfi, der träumt er wäre ein Löwe oder ein Löwe, der gerade geträumt hatte, er wäre ein Wolfi? Diese Frage beschäftigt mich seit dieser Nacht. Was ist Realität, was ist wirklich und gibt es überhaupt so etwas wie die Wirklichkeit? Während ich darüber nachdachte, schlief ich schließlich ein. Als ich am nächsten Tag aufgewachte, schien die Sonne in mein Zimmer und tauchte alles in ein warmes Gelb. Ich hatte die Nacht überstanden. Nichts war passiert. Inzwischen wohne ich seit vielen Jahren schon in Wien. Und wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich am Horizont die Berge. Sie sind zwar weiter weg als damals in meiner Heimatstadt, aber Berg ist Berg. Mehr kann man in einer Großstadt wohl nicht verlangen. Ich wohne direkt an einem Naherholungsgebiet, was ein netter Ersatz für unseren Wald ist. Und wenn ich mal Sehnsucht nach der Mürz habe, gibt es hier die Donau. In den ersten Jahren schlief ich noch sehr schlecht in Wien. Ich wusste zunächst nicht woran das lag. Erst als ich einmal meine Mutter in unserer alten Wohnung besuchte, kam ich darauf. Ich legte mich in meinem alten Zimmer in mein altes Bett und drehte das Licht ab. Da war sie wieder, diese absolute Dunkelheit. Aber etwas war anders. Ich hatte sie vermisst. Sie war mit den Jahren zu meinem Freund geworden. Und in Wien, wo immer irgendwo das Licht brennt, gibt es so etwas nicht, darum hatte ich dort Probleme mit dem schlafen. In dieser Nacht jedoch in meinem alten Zimmer, schlief ich wie ein Baby in den Armen dieser absoluten, alles umhüllenden Dunkelheit. Und seit dem weiß ich das der schwarze Teifl unter meinem Bett, in Wirklichkeit das freundlichste Gespenst ist, das man sich vorstellen kann. Irgendwann werde ich für immer in diese Dunkelheit eintreten. Aber ich werde mich nicht fürchten denn ich weiß was mich dort erwarten wird. Ich werde eine sanfte Stimme hören, die zu mir sagt: „Hab keine Angst Wolfi, es kann dir nichts passieren.“ Und sollte dort etwas auf mich warten das noch dunkler ist als die Nächte in Kapfenberg, werde ich vorbereitet sein. Dann werde ich ganz leise flüstern. „Spü Kugerl und verroll dich, sonst tret ich dir so in den Hintern, das du über den Tanzenberg fliegst.“ und ich werde lachen.                  

 

Gewidmet meiner Mutter und meinem Bruder Helmut

Wolfgang. 18.2.2024

A Wither Shade of Pale

 

Die 80er-Jahre haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Viele Ereignisse von damals erwiesen sich wegweisend für mein weiteres Leben. Aber es sind nicht immer die weltbewegenden oder die dramatischen Ereignisse, die einen prägen. Manchmal sind es die kleinen Dinge die am wichtigsten sind. So wie etwa ein Schikurs. Irgendwann Anfang der 80er fuhren wir mit der ganzen Klasse, für eine Woche zum Schifahren nach Donnersbachwald. 

Diese kleine Gemeinde im Bezirk Liezen gibt es inzwischen nicht mehr. Sie wurde im Zuge der steiermärkischen Gemeindestrukturreform 2015 zur einer neuen Gemeinde namens „Irdning-Donnersbachtal“

Ich war nie ein besonders talentierter Skifahrer gewesen und obwohl ich fast erfroren wäre und am Ende mehr Stürze als Schussfahrten absolvierte, hatte es Spaß gemacht. Ich weiß noch, wie mir von der Kälte der Bartflaum im Gesicht zu kleinen Eiszapfen gefroren war und ich mir dabei sehr verwegen vorkam. Oder wie wir einmal die Zeit übersahen und bei fast kompletter Dunkelheit unserem Lehrer und seiner Taschenlampe hinterher ins Tal fuhren.

Heute weiß ich wie gefährlich diese Fahrt gewesen sein musste, aber damals als furchtlose Jugendliche hielten wir uns für unsterblich. In dem kleinen Hotel, wo wir wohnten, hatte man zwei ganze Stockwerke für uns reserviert. Oben schliefen die Burschen und unten die Mädchen. Und wenn wir gerade nicht auf der Piste waren, trafen wir jugendlichen uns im Stiegenhaus genau in der Mitte zwischen dem Buben und dem Mädchen Stock. Und da ich damals eigentlich immer meine Gitarre dabei hatte, gab ich mit meinem Schulfreund Günther immer ein kleines Konzert. Günther war eigentlich gar kein Sänger. Aber er konnte gut Leute imitieren. Er hatte die Texte von ein paar Shakin‘ Stevens Song auswendig gelernt und so legten wir los. Das war das erste mal gewesen, das ich jemand vor Begeisterung kreischen hörte, weil ich Gitarre spielte. Am Ende war dann meist der Geräuschpegel so hoch, das uns die Lehrer trennen mussten. In diesem Moment wusste ich, was ich später einmal für einen Beruf ausüben würde.

 

„And when I'm looking in those big blue eyes 

I start a-floating 'round in paradise 

You drive me crazy“

 

Am Abend gab es dann für uns eine Disco. Wir waren eine gemischte Klasse gewesen und freuten uns jedes Mal auf dieses Ereignis. Obwohl wir das natürlich nie zugegeben hätten. Ein paar Tische wurden aus dem Speisesaal geräumt um einen Tanzboden zu schaffen, dann wurde eine große silberne Discokugel aufgehängt. Das Licht wurde getimt und der DJ, ein übergebliebener Hippie aus den 60er Jahren, legte für uns Musik auf.

Wenn man in die Disco ging, kam man an einer langen Theke vorbei. Und da standen hinter einer Glasvitrine die größten und leckersten Krapfen, die man sich vorstellen kann. Ich habe nie mehr in meinem Leben solche Krapfen gegessen. Groß wie eine Langspielplatte und noch warm und duftend, als hätte sie irgend ein himmlischer Meisterbäcker extra für uns zubereitet. Ich muss mein ganzes Taschengeld dafür ausgegeben haben. 

Diese Verlockung war zu groß für uns hungrige Jugendliche gewesen. Also plünderten wir jeden Abend diese Glasvitrine, bis der letzte Krapfen darin gegessen war.

Wir kamen immer in kleinen Gruppen von Buben und Mädchen, die Teller voller Mehlspeisen, in den Saal und saßen uns schließlich schweigend und mampfend aber neugierig gegenüber. Bis schließlich einer von uns mutig genug war, um jemanden zum Tanz aufzufordern. Damals habe ich das erste mal mit einem Mädchen getanzt. Das Lied zu dem wir tanzten war „A Wither Shade of Pale“ von Procol Harum. Bei diesem Lied hat es in mir klick gemacht. Matthew Fischers Hammondorgel und Garry Brookers Stimme haben sich in mir eingebrannt. Dieses Lied gehört seitdem zu meinem Repertoire. 

Ich weiß heute nicht mehr, mit wem ich damals meinen ersten Tanz wagte.

Aber ich höre noch die Musik und ich kann noch die Krapfen schmecken.

 

„We skipped the light fandango“

 

Wolfgang. 14.12.23

 

 

Über 40 Jahre mache ich jetzt Musik. Und die Kreativität ist mir immer noch ein Rätsel.

Paul McCartney zum Beispiel träumte von Yesterday. Mit Strophe, Refrain und allem. Wie wir es heute kennen. (Nur hieß es zu dem Zeitpunkt noch "Scrambled Eggs" und hatte einen etwas anderen Text.)

Mir ging es heute Nacht ähnlich. Ich träumte von einem Gedicht.

Was ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte. Ich war gerade aufgewacht und konnte mich noch genau an das Gedicht erinnern. Und zwar genau so wie es unten geschrieben steht.

Es mag zwar etwas seltsam erscheinen gerade so etwas zu träumen, aber jeder der mich genauer kennt, wird sich vermutlich nicht weiter darüber wundern.

Mal schauen ob es auch so erfolgreich wird wie Yesterday. Ich bin mir diesbezüglich aber etwas unsicher.

 

Das kleine rote Gummiboot

(Geträumt am 10.8.2023 von Wolfgang Fuchsbichler)

 

Im Regal und ganz in Rot

steht ein kleines Gummiboot.

Das kauft heute Vater Franz,

für seinen Sohn, den kleinen Hans.

Damit woll'n sie heut zum See

und dabei wär ein Schlauchboot schee.

Hänschens Wunsch, ein kleines Boot,

ganz aus Gummi und in Rot.

 

Und schon sind sie auf dem Wasser,

Ihre Welt wird immer nasser.

Kräftig rudern sie hinaus,

Hänschen, der sieht glücklich aus.

So verbringen sie den Tag,

jeder rudert, wie er mag.

Glück ist nur ein kleines Boot,

ganz aus Gummi und in Rot.

 

Meine Träume sind oft kreativ. Ich hab schon Lieder geträumt oder Gedichte, komplett in Reimform. Mein diesmaliger Traum war anders. Ich träumte eine Kurzgeschichte.
Sie heißt:

Yashidori

Ein Wochenende. Wir veranstalten eine Party bei uns zu Hause. Es sind viele Menschen gekommen. Freunde, Familie. Ich kenne nicht alle. Es wird getrunken und gegessen. Die Leute unterhalten sich. Von irgendwo her klingt leise Musik. Ich unterhalte mich mit irgend jemanden. Es ist nur Small Talk. Ich bin nicht gerade der geborene Partytiger. Meist stehe ich auf Partys irgendwo herum und höre den Leuten beim Plaudern zu. Diesmal rede ich mit jemanden. An unserem Gespräch sind mehrere Leute beteiligt. Während wir so reden sehe ich unter den feiernden Leuten eine mir unbekannte Person. Der fremde Mann hat langes schwarzes Haar und ist mit einem altertümlichen und abgetragenen japanischen Gewand gekleidet. Er steht vor einer Glasvitrine und betrachtet intensiv einen alten japanischen Teller der sich darin befindet.
Der Teller war ein Geschenk und mir gefiel die Malerei darauf. Plötzlich nimmt der Fremde einen Stein und zerschlägt damit die Glasvitrine. Dann holt er ein altes Tintenfass hervor, es ist versiegelt. Er bricht das rote Siegelwachs. Man hört ein leises knacken. Schließlich holt er einen feinen, eleganten Pinsel hervor, taucht die Spitze in das Tintenfass und beginnt damit auf dem Teller zu malen. Ich will ihn schon aufhalten , aber eine innere Stimme hält mich zurück
„Lass ihn malen!“ und so sehe ich ihm einfach zu. Auf dem Teller sieht man eine Landschaft mit einem Berg und einem See, einer Wiese und Bäumen. Ich hab nie erfahren, was diese Malerei darstellen sollte. Der Fremde malt jetzt mit seiner schwarzen Tinte darüber. Zuerst entstehen Vögel, die am Himmel fliegen, anschließend zeichnet er Blumen auf die Wiese und Fische, die aus dem See springen. Ganz zum Schluss malt er Menschen, die auf den Wegen dahin schlendern. Der Fremde erfüllt den Teller mit jedem seiner Pinselstriche mit Leben. Er lässt sich Zeit. Zwischen den einzelnen Motiven blickt er in die Luft,  als ob es da etwas gäbe, dass nur er sehen kann. Dann malt er weiter.
Als er damit fertig ist, signiert er sein Werk. Ich möchte ihn darauf ansprechen. Ihn für sein Talent loben. Doch bevor ich was zu ihm sagen kann, ist er auch schon wieder verschwunden. Genau so plötzlich, wie er vor kurzem noch aufgetaucht war. Ich suche nach ihm, aber ich kann ihn nirgends finden. Keiner der anderen Gäste schien ihn bemerkt zu haben. Es war, als ob ich einen Geist gesehen hätte. Und wären da nicht die Glasscherben der Vitrine und die schwarze Tintenmalerei auf dem Teller gewesen, ich hätte ihn wohl für ein Gespenst gehalten. Ein paar Wochen später befindet sich der Teller wieder in einer neuen Vitrine.
Jemand ist zu Besuch. Ein Bekannter. Ein Kunstliebhaber. Als er an der Glasvitrine vorbeikommt, bleibt er stehen und sagt er zu mir: „ Ist das ein Original?“ Ich weiß nicht, von was er spricht und antworte: 
„Ein Original was?“ Er zeigt grinsend mit dem Finger auf den Teller und sagt: „Ich meine den Yashidori. Sieht zumindest wie ein Original aus.“
Ich erzähle ihm die Geschichte von dem Fremden mit dem altertümlichen Gewand und das ich ihn anfangs für einen Penner gehalten hatte. Mein Freund grinst breit und sagt dann zu mir:
„Nun dann haben wir hier einen echten Yashidori.“
Ich zucke mit den Schultern und blicke ihn unwissend an. Er fährt fort:
Yashidori ist ein japanischer Aktionskünstler. Er übermalt mit seiner schwarzen Tinte alte Kunstwerke und erfüllt sie so mit Leben. Niemand kennt seine Identität. Man kann ihn nicht engagieren oder ein Werk in Auftrag gegeben. Und man sagt, er malt nur bei Leuten, die ihm sympathisch sind. Er kommt stets ungefragt und beginnt einfach zu malen. Niemand hat ihn jemals sprechen hören. Yashidori ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit. Seine Werke sind Millionen wert.“
 
Geträumt am 17.2.2024 von Wolfgang.
 
Nachtrag das Wort Yashidori, ヤシドリ gibt es im japanischen wirklich. Es bezeichnet einen Vogel. Den Palmschwätzer. (Engl. palmchat)
Zitat:
Der Palmschwätzer (Dulus dominicus) ist eine auf der Karibikinsel Hispaniola und ihren Nachbarinseln Île de la Gonâve und Isla Saona endemisch vorkommende Vogelart

Hey Jude

Kapfenberg 70er-Jahre. Ich sitze in meinem Zimmer und spiele. Vermutlich baue ich gerade irgendetwas aus Lego. Damit zu spielen war während meiner Kindheit meine Nr.1-Beschäftigung. Ich baute Häuser und Ritterburgen, Schiffe und Wagen. Mir gefiel es, Dinge zu erschaffen, die meiner Fantasie entsprungen waren. Wenn Kinder ganz in ihrem Spiel aufgehen, sich so sehr darauf konzentrieren, dass sie alles um sich herum vergessen, befinden sie sich in einem Zustand, denn man Flow nennt. An diesem Tag werde ich etwas unsanft aus meinem Flow gerissen. Die Tür geht auf und meine Schwester Elfie kommt ins Zimmer. Sie ist um 10 Jahre älter als ich und gerade ein Teenager. Sie nimmt mich wortlos an der Hand und führt mich ins Wohnzimmer. Dort setzt sie mich direkt vor unserem Schwarz-Weiß-Fernseher und sagt zu mir: "Hauch zua Bua, deis is wichtig!" Dann dreht sie die Lautstärke auf und setzt sich zu mir. Auf dem Fernsehgerät sieht man eine Musikgruppe. Vier Musiker, die herumblödeln. Sie spielen irgend ein lustiges Lied. Ich höre zu. Dann sagt ein Fernsehsprecher: "Ladys and Gentleman, there you see the greatest tearoom orchester in the world. It's my pleasure to introduce now in their first live appearance for goodness know how long in  front of an audiance, The Beatles" Ich verstehe von dem, was der Mann da sagt kein Wort. Englisch lerne ich erst viel später. Aber was dann kommt, verstehe ich ganz genau. Es fühlt sich für mich so an, als würde zum ersten Mal jemand in meiner Muttersprache zu mir sprechen. An diesem Tag wurde ich zum zweiten Mal geboren. Ich wurde zu dem, der ich heute bin. Der kleine Bub mit der großen Fantasie der Träumer wird Wolfgang. 

Fast Forward, 1982 Pfarre Hl. Familie Kapfenberg. 
Heute ist was los. Im Keller unserer Kirche gibt es heute einen "5 Uhr Tee." Eine Tanzveranstaltung für Jugendliche. Organisiert hat das jemand aus der Kirche. Vermutlich um uns jungen Leuten die Möglichkeit zu geben, uns in einem sicheren Umfeld zu treffen. Ein Raum wird zu einer Disco umfunktioniert. Irgendwo gibt es Getränke. Ein paar rote Lampen tauchen alles in ein warmes Zwielicht. Die Leute stehen herum oder tanzen miteinander. Ich hör mir die Musik an. Für uns Burschen ist das eine gute Möglichkeit, Mädchen kennenzulernen. Ich bin eben 14 geworden und hab das Gefühl, ich entdecke gerade eine ganz neue Welt. Und sie ist spannend. Die Zeit vergeht und irgendwann kündigt der DJ das letzte Lied an. Hey Jude, dieser Song wird immer als letztes gespielt. Zum einen, weil er sich gut zum eng tanzen eignet und zum anderen weil er 7 min und 6 Sekunden trauert. In den 80ern ist das bei Liedern eine halbe Ewigkeit.

"Und jetzt alle auf die Tanzfläche. Bei diesem Lied möchte ich das alle mittanzen." Wir suchen uns einen Tanzpartner und warten, bis das Lied beginnt. Das Licht wird jetzt ganz abgedreht. Die Musik beginnt. Alle singen mit. Dann kommt meine Lieblingsstelle. Paul McCartney singt; "Better, better, better, better, better, better Oh! Yeah" Paul schreit sich die Seele aus dem Leib und alle schreien mit. Dann wird von den Beatles und von uns 198-mal Na..., gesungen.

Mit den Nas vom ersten Teil sind es sogar 216 Nas, die in dem Lied vorkommen. Dazwischen  brüllt Paul wie von der Tarantel gestochen: "Come on and Bring me Judy" und "Take a load off, Judy" seine Stimme überschlägt sich fast dabei. Alle brüllen mit. Weil es ganz dunkel ist, sieht man nichts. Aber ich glaube nicht, dass jetzt noch Leute eng miteinander tanzen.

Fast Forward, 21. Oktober 1989
München, Olympiahalle, Paul McCartney Welttournee. Ich bin mit Freunden aus unserer Clique nach München gefahren, um Paul McCartney zu sehen. Es ist nach 10 Jahre seine erste Tournee. Ich habe ihn seit dem 5x gesehen, aber das erste Mal war was besonderes. Vor dem Konzert schlendern wir durch München. Überall sind Konzertplakette. Jemand überklebt sie mit einem langen gelben Zettel, auf dem steht: "Welcome, Paul and Linda"

Der Kleister, mit dem der Zettel an ein Plakat geklebt wird, ist noch feucht. Ich ziehe einen der gelben Papierstreifen ab, rolle ihn ein und stecke ihn in meine schwarze Lederhose. Ein Lied des Konzertes,

"Can't Buy Me Love' wird mitgeschnitten und erscheint später auf dem Livealbum "Tripping The Live Fantastic", dann ist Showtime. Paul und seine Band sind gut in Form. Es beginnt mit einem Lied seines aktuellen Albums. Paul spielt einen 5-saitigen Bass. So etwas habe ich noch nie gehört. Dann folgt ein Hit nach dem anderen. Die Wings wechseln sich mit den Beatles ab und die Halle kocht. Ich stehe in der ersten Reihe. Irgendwann geht Paul an den Bühnenrand und schaut ins Publikum. Ich hole den gelben Zettel aus meiner Tasche und halte ihn mit beiden Händen in die Höhe. Paul sieht mich. Er zeigt mit einem Finger genau auf mich und zwinkert mir dabei zu. Dann geht er ans Klavier und spielt Hey Jude. Der Kreis schließt sich.

"Na, na, na, na, na, na, na, na, na, na, na, Hey Jude

 

Für meine Schwester Elfie 

Wolfgang. Am 18.1. 2024

 

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© Wolfgang Fuchsbichler